Lübeck, Theater Lübeck, Owen Wingrave – Bejamin Britten, IOCO Kritik, 12.09.2021

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Theater Lübeck

Theater Lübeck © Olaf Malzahn
Theater Lübeck © Olaf Malzahn

 OWEN WINGRAVE  –  Benjamin Britten

 Der Pazifismus – Auslöser einer Familientragödie

von  Wolfgang Schmitt

 Benjamin Britten Büste in Aldeburgh © IOCO
Benjamin Britten Büste in Aldeburgh © IOCO

Mit Benjamin Brittens vorletzter Oper Owen Wingrave eröffnete am 5. September das Theater Lübeck die neue Spielzeit 2021-22. Als bekennender Pazifist und Kriegsdienstverweigerer während des zweiten Weltkrieges schrieb Britten zu Beginn der 60er Jahre sein War Requiem, ein musikalisches Epos gegen die Unmenschlichkeit des Krieges. Mit Owen Wingrave schuf Britten ein weiteres pazifistisches Bekenntnis, inspiriert durch die 1893 geschriebene Novelle des Schriftstellers Henry James (der auch The Turn of the Screw schrieb, welches Werk ebenfalls von Britten vertont wurde), die Geschichte einer Familiendynastie, deren männliche Nachkommen allesamt die militärische Laufbahn einschlagen und für die es Ehre und Selbstverständlichkeit ist, fürs Vaterland zu sterben. Brittens Oper Owen Wingrave ist auf deutschen Bühnen eher selten anzutreffen, am Theater Lübeck wird sie erstmals aufgeführt.

Das von Ausstatter Ashley Martin-Davis entworfene, in fahlen Farben gehaltene Einheits-Bühnenbild ist, mit entsprechenden Requisiten ausgestattet, mal Kasernenhof, Offizierskasino mit Weltkarte, mal Empfangshalle des Wingrave’schen Anwesens, Speisesaal der Familie mit langer Tafel, Kronleuchter und Ahnengalerie an der Bühnenrückwand, auch mal Schlachtfeld mit Schützengraben. Graugrüne Soldatenuniformen und passende Lichtregie (Falk Hampel) trugen zur düsteren Atmosphäre der gesamten Szenerie bei. Gleich die erste Szene berührt, wenn Owen und sein Freund Lechmere auf dem Kasernenhof mit dem Bajonett auf als Soldaten gekleidete Puppen einstechen müssen. Während Lechmere keine Skrupel kennt, hält Owen inne, und in ihm reift der Entschluß, die Offizierslaufbahn aufzugeben, denn mittlerweile kommt ihm die Gewissheit, daß Kriege sinnlos, unmoralisch und ohnehin nicht gewinnnbar sind. Sein Ausbilder Spencer Coyle und besonders dessen Ehefrau zeigen Verständnis für seinen Entschluß und haben nun die Aufgabe, diesen seinen Entschluß der Familie Wingrave zu überbringen.

Theater Lübeck / Owen Wingrave © Jochen Quast
Theater Lübeck / Owen Wingrave © Jochen Quast

Auf dem Familiensitz Paramore angekommen, sieht sich Owen einer Mauer der Ablehnung, der Kälte und Verachtung gegenüber, man wirft ihm Ehrlosigkeit, Feigheit, und Verrat an der Familientradition vor. Seine ehrgeizige Verlobte Kate, die ihren gesellschaftlichen Aufstieg durch die Einheirat in diese Offiziersfamilie gesichert sah, ihre Mutter Mrs. Julian, selbst verarmte Kriegerwitwe, sah diese Verbindung ihrer Tochter als „gute Partie“, Miss Wingrave, die Grande Dame, für die Familienehre und Disziplin das oberste Gebot sind, und schließlich sein Großvater General Sir Philip Wingrave, das greise Familienoberhaupt, der ihn schlußendlich enterbt und verstößt. Seine letzte Nacht verbringt Owen auf Verlangen Kates als eine Art Mutprobe im sogenannten Spukzimmer des Anwesens, dort soll in grauer Vorzeit ein Vorfahre seinen kleinen Sohn wegen Feigheit totgeschlagen und sich anschließend selber gerichtet haben. Am anderen Morgen ist Owen tot, und er wird von seiner Familie mit allen militärischen Ehren zu Grabe getragen.

Theater Lübeck / Owen Wingrave © Jochen Quast
Theater Lübeck / Owen Wingrave © Jochen Quast

Regisseur Stephen Lawless hat hier eine packende, beklemmende, gut durchdachte Umsetzung der Handlung auf die Bühne gebracht. Interessant ist, wie er den Tod Owens deutet, nämlich daß er als der wahre Held dieser Geschichte „wie auf einem Schlachtfeld“ seinen Tod erleidet, nachdem er die Vorgaben der Familie, der Tradition, der Soldatenehre hinter sich gelassen hat.

Die Titelrolle sang Johan Hyunbong Choi mit geschmeidigem Bariton, beeindruckend von Beginn an bis zum Ende, als er sich in seinem großen Monolog von seiner Familie lossagt und schließlich aus Liebe zu Kate bereit ist, im Spukzimmer zu nächtigen. Wioletta Hebrowska singt die Kate mit dramatischem Mezzosopran und läßt in ihrem resoluten Spiel keinen Zweifel daran, wer in einer möglichen Ehe mit ihr das Sagen haben wird. Ihre Mutter, die ehrgeizige Offizierswitwe Mrs. Julian, lag bei Andrea Stadel mit ihrem glockenhellen Sopran in guten Händen. Yoonki Baek als sein eher leichtfertiger Freund Lechmere, der seine Chancen bei Kate sieht, nachdem diese sich von Owen losgesagt hat, präsentiert hier seinen höhensicheren lyrischen Tenor, während Sabina Martin als traditionsbewußte, elegant gekleidete Miss Wingrave, Owens energische Tante, ihren dramatischen Sopran resolut einzusetzen verstand. Gerard Quinn als der Ausbilder Spencer Coyle mit edel geführtem Charakterbariton und die schönstimmige Sopranistin Evmorfia Metaxaki als Mrs. Coyle waren die versändnisvollen ausgleichenden Pole dieser Inszenierung. Schließlich bot der Charaktertenor Wolfgang Schwanninger als greises, noch immer kriegsbesessenes Familienoberhaupt General Sir Philip Wingrave in seiner Paradeuniform eine intensive Studie gestrenger gnadenloser Autorität.

Das Philharmonische Orchester unter der kompetenten Leitung von GMD Stefan Vladar leuchtete Brittens ausdrucksstarke Musik sehr präzise aus, meisterte die rhythmisch trickreichen Passagen nahezu spielerisch, es klang sehr engagiert besonders auch in den orchestralen Solopassagen, und es lieferte den acht Solisten ein sicheres, instrumentales Fundament.

Dem trotz der Pandemiebestimmungen gut besuchten Theater Lübeck kann man mit dieser Neuproduktion einen höchst erfolgreichen Start in die neue Spielzeit attestieren.

OWEN WINGRAVE am Theater Lübeck; die nächsten Vorstellungen 26.9.; 15.10.; 21.10.2021

—| IOCO Kritik Theater Lübeck |—

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